Drei Verfassungsbeschwerden: Zugang zu Messdaten

| Der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) für das Land Baden-Württemberg hat über drei Verfassungsbeschwerden
gegen Verurteilungen in Verkehrs-Ordnungswidrigkeitenverfahren
entschieden. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführer in ihrem
Recht auf ein faires Verfahren. Ihnen war die Einsicht in bei der Bußgeldbehörde vorhandene
Daten der Geschwindigkeitsmessung und Unterlagen des Messgeräts, die nicht Teil der Bußgeldakte
waren, versagt worden. Der VerfGH hat die Entscheidungen aufgehoben und die
Sache jeweils zur erneuten Entscheidung an die Ausgangsgerichte zurückverwiesen. |


Das war geschehen
Den Beschwerdeführern wird vorgeworfen, als Kraftfahrzeugführer die zulässige Höchstgeschwindigkeit
überschritten zu haben. Ihnen wurden deshalb zunächst mit Bußgeldbescheid
und anschließend Urteil des Amtsgerichts (AG) Geldbußen zwischen 80 und 320 Euro zum Teil
mit einmonatigem Fahrverbot auferlegt. Ihre dagegen beim Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart
eingelegten Rechtsmittel blieben erfolglos. Während des Bußgeldverfahrens sowie des gerichtlichen
Verfahrens begehrten die Beschwerdeführer wiederholt die Übermittlung von bei der
Bußgeldbehörde vorhandenen, aber nicht bei der Bußgeldakte befindlichen Messdaten bzw.
Wartungs- und Reparaturunterlagen des Messgeräts. Eine Einsicht wurde ihnen nicht bzw. nur
unvollständig gewährt.


Wesentliche Erwägungen des Verfassungsgerichtshofs
Die Verfassungsbeschwerden sind, soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung des Grundsatzes
des fairen Verfahrens aufgrund der unterbliebenen Einsichtsgewährung in die begehrten
Messdaten bzw. Wartungs- und Reparaturunterlagen rügen, zulässig und begründet. Wie das
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits festgestellt hat, folgt aus dem Recht auf ein faires
Verfahren grundsätzlich ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen,
aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen.


Recht auf faires Verfahren
Hierbei handelt es sich nicht um eine Frage der gerichtlichen Aufklärungspflicht, sondern der
Verteidigungsmöglichkeiten des Betroffenen. Der Beschuldigte eines Strafverfahrens bzw.
Betroffene eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens hat neben der Möglichkeit, prozessual im
Wege von Beweisanträgen oder Beweisermittlungsanträgen auf den Gang der Hauptverhandlung
Einfluss zu nehmen, grundsätzlich auch das Recht, Kenntnis von solchen Inhalten zu
erlangen, die zum Zweck der Ermittlung entstanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden.
Dadurch werden seine Verteidigungsmöglichkeiten erweitert, weil er selbst nach Entlastungsmomenten
suchen kann, die zwar fernliegen mögen, aber nicht schlechthin auszuschließen
sind.


Die möglicherweise außerhalb der Verfahrensakte gefundenen entlastenden Informationen
können von der Verteidigung zur fundierten Begründung eines Antrags auf Beiziehung vor
Gericht dargelegt werden. Der Betroffene kann so das Gericht, das von sich aus diese Informationen
nicht beizieht, auf dem Weg des Beweisantrags oder Beweisermittlungsantrags zur
Heranziehung veranlassen.


Diesen Grundsätzen wurden die aufgehobenen Entscheidungen nicht gerecht.